Gefangen in Bildern
Donnerstag, 11 März 2021Ab dem 19. Mai* organisiert das Gedenkzentrum Camp Westerbork ‚Gefangen in Bildern' (Gevangen in Beelden), eine Ausstellung über den ‚Westerborkfilm', der 1944 von dem deutsch-jüdischen Flüchtling und Lagerhäftling Rudolf Breslauer im Auftrag des Lagerkommandanten Albert Gemmeker gedreht wurde.
Der Film enthält das einzige Filmmaterial aus dem Krieg selbst über ein Nazi-Durchgangslager für Juden, Sinti und Roma, darunter ikonische Szenen eines ankommenden und abgehenden Transports. Im Museum von Camp Westerbork erzählt die Ausstellung den Kontext des Films. Filmszenen sind auf dem Lagergelände an der Stelle zu sehen, wo Breslauer 1944 mit seiner Filmkamera stand.
Restaurierung
Der Film und die Produktionsdokumente gehören zum Weltdokumentenerbe. Im Jahr 2017 wurden sie in das UNESCO-Register ‚Memory of the World‘ aufgenommen. Das einzigartige Filmmaterial, das sich im Besitz des NIOD-Instituts für Kriegs-, Holocaust- und Völkermordstudien befindet, wurde anschließend im Auftrag des niederländischen Instituts für Bild und Ton, mit einem Zuschuss der Rothschild-Stiftung Hanadiv Europe, recherchiert, ausgewählt und sorgfältig restauriert.
Durch qualitativ hochwertiges Scannen und Restaurieren wurden saubere und stabile Bilder mit mehr Details erhalten. Außerdem wurde ein sehr kurzes -bislang unbekanntes- Filmfragment gefunden. In Auftrag von der Produktionsfirma ‚The Media Brothers‘ wurde im Jahr 2019 ein Teil des Filmmaterials über den Lagerkommandanten Gemmeker von der Visual-Effects-Firma Planet X, zusammen mit der Hilfe von Forschern des Gedenkzentrums Camp Westerbork, koloriert.
Zusammenarbeit
Die Ausstellung auf dem Lagergelände ist das erste Projekt rund um die neu restaurierten Bilder, als Teil des Langzeitprogramms ‚Westerbork, filmisch festgehalten‘ (Westerbork gevangen op film). In diesem Programm, das die Geschichte des Westerborkfilms in all seinen Erscheinungsformen erzählen will, arbeiten folgende Anstalten zusammen: das Niederländischen Institut für Ton und Bild, Gedenkzentrum Camp Westerbork, das NIOD, UNESCO Memory of the World Commité Nederland und das National Holocaust Museum i.G.
Sieben Szenen
Auf dem ehemaligen Lagergelände können die Besucher verschiedene Filmausschnitte auf großen Leinwänden sehen, genau dort, wo sie vor 77 Jahren gedreht wurden. Es handelt sich um sieben Szenen, die verschiedene Aspekte des täglichen Lebens zeigen: einen ausgehenden Transport, einen eingehenden Transport, die Registrierung und eine Kabarettaufführung, die Arbeit am Gewächshaus im Garten des Lagerkommandanten, die Morgengymnastik, die Arbeit in der Spielzeugwerkstatt und die Arbeit im Flugzeugschrottplatz.
Die Ausstellung im Gedenkzentrum bietet dem Film einen umfassenden Kontext und Informationen. Zu den sieben genannten Fragmenten sind Originalobjekte ausgestellt und ehemalige Häftlinge, die im Westerborkfilm vorkommen, erzählen in kurzen Audiofragmenten von ihrer Zeit im Lager.
Hintergrund
Für welchen Zweck der Westerborkfilm gedreht wurde - zu einem Zeitpunkt, als sich die Kriegschancen der Deutschen, offenbar verändert hatten - ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Lagerkommandant Gemmeker erklärte während seines Prozesses im Jahr 1948, er wolle das Lager in all seinen Aspekten ‚für später‘ aufzeichnen. Wir wissen aber, wann die Aufnahmen gemacht wurden: zwischen dem 5. März und dem 19. Mai 1944. Dann wurden sie plötzlich gestoppt und der Film wurde nie fertiggestellt.
Das Rohmaterial enthält Aufnahmen, die höchstwahrscheinlich von den Nazi-Behörden für die Endbearbeitung abgelehnt worden wären. Dies macht den Film zu einer sehr seltenen Beobachtung des täglichen Lebens in einem Nazi-Durchgangslager. Im Jahr 1995 erhielt der Film eine zusätzliche Dimension, als die Identität des Mädchens, das aus der Öffnung eines Güterwagens herausschaut, feststand: Settela Steinbach. Kein jüdisches Mädchen, sondern eine Sintezza. Das Einzelbild mit Settela gab der Verfolgung der Sinti und Roma ein Gesicht.
Rudolf Breslauer wurde am 4. September 1944 mit seiner Familie nach Theresienstadt und von dort einen Monat später nach Auschwitz deportiert. Er wurde am 28. Februar 1945 an einem unbekannten Ort ermordet, seine Frau und seine beiden Söhne wurden in Auschwitz vergast, seine Tochter Ursula überlebte den Krieg.